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AutorenbildJonas Höpfner

Ich muss Gießen (Halloween-Horror-Special)

Intro:

Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Aber wie sieht es bei einer geschenkten Pflanze aus? Oder vielmehr einem Samen? Die Pflege einer Pflanze kann viel Zeit und Energie kosten. Insbesondere bei Cannabispflanzen kann es für ehrgeizige Grower schnell auch sehr teuer werden. Den Preis, den sie bereit sind, zu zahlen, kosten sie oft mehr als nur ein paar Scheine.


Dieser Samen hier ist von einer ganz besonderen Cannabispflanze. Ich persönlich würde ihn ja nicht in die Erde stecken. Denn wenn du genau hinhörst, wirst du erfahren, wieso es keine gute Idee wäre, diese Pflanze zu züchten.


“Endlich! Es ist da, mein Paket ist endlich angekommen!” Sascha freute sich wie ein kleines Kind und hatte ein so breites, liebevolles Lächeln im Gesicht, wie Mary es seit langem nicht zu Gesicht bekommen hatte. 


“Wenn du mich ja mal so anschauen würdest…” sagte sie mit dezentem Unterton und verschwand wieder im Wohnzimmer. Sascha indessen hatte ihren Kommentar vollkommen überhört und eilte mit dem großen Paket hinunter in seinen Kellerraum.


Hier hatte er bereits alles hergerichtet, den Boden gewischt und die Heizung eingeschaltet. Mit infantiler Aufregung begann er, den Karton regelrecht auseinanderzuziehen. 


Nach knapp zwei Stunden trat Sascha einige Schritte zurück und betrachtete sein Werk: eine wunderschöne pechschwarze AC Infinity Growbox. Voll ausgestattet mit Licht, Abluft, Umluft, Luftbefeuchtung und Zusatzbeleuchtung – alles, was das Grower-Herz begehrte. Es hatte eine lange Zeit und viel Schleimerei bedurft, dass er sie sich endlich zu legen konnte. Mary war nicht besonders angetan von seinem neuen Hobby, dem Cannabis-Anbau. Jedoch konnte er sie letzten Endes dazu überreden, dass eine Growbox weit besser war, als sich das Zeug auf der Straße zu kaufen oder Mitglied in einem Anbau-Club zu werden. 


“Nun brauche ich nur noch Seeds und es kann losgehen." Er schmunzelte und verließ den Raum. Als er die Treppe hoch kam, wartete Mary bereits auf ihn mit einem skeptischen Blick. “Ich dachte schon, du kommst nie mehr da unten raus. Das Essen ist fertig.” Sie nickte zur Tür, “Und denk dran, heute ist Halloween, also stell noch den Kürbis raus.”


Hin und wieder klingelte es an der Tür und eine kleine Gruppe von Kindern mit Erwachsenen stand kostümiert am Hauseingang. “Süßes oder Saures!”

Ein letztes Mal klingelte es um 22:00 Uhr und Sascha verteilte die Reste aus der Süßigkeitenschale. Mehr Kinder würden sie heute und um die Uhrzeit nun wirklich nicht erwarten.


Gemeinsam machten es sich Sascha und Mary auf der Couch breit, um abschließend die gruseligste Nacht des Jahres noch mit einem Horrorfilm ausklingen zu lassen. Nach einigen Schockern und Gänsehaut-Momenten nahm auch der Film ein Ende. Sascha war gerade damit beschäftigt, die Chips-Schüssel in die Küche zurückzubringen, als es laut gegen die Tür klopfte. 


Mary schreckte vom Sofa auf und sah Sascha an, der seinen Kopf aus der Küche heraus streckte. “Sicher nur irgendwelche Teens, die sich einen Spaß erlauben.” Sascha stellte die Schüssel beiseite und ging zur Haustür. Er konnte nicht leugnen, dass ihn ein mulmiges Gefühl befiel, als er auf seine Armbanduhr schaute – 12 Uhr Mitternacht. 


Ein weiteres Mal pochte es laut an der Haustüre. Sascha holte tief Luft und öffnete die Tür. Ein eiskalter Windstoß fegte ihm ins Gesicht, gefolgt von einer dichten Rauchwolke, die langsam sein Gesicht umschlang. Sascha hustete und wedelte mit den Händen vor seinem Gesicht. “Alter, was soll die Scheiße?!”


Als der Rauch verflogen war, tauchten zwei glühend rote Augen in der Finsternis des Türrahmens auf, gefolgt von einer breiten weißen Grinsen, das sich aus der Dunkelheit schälte. Die Augen und die breiten Zähne gehörten zu einem großen, runden, grünen Schädel, auf dem ein Zylinder thronte. Der Besucher trug einen schwarzen Anzug und vornehme, weiße Stoffhandschuhe von denen er einen Sascha entgegen streckte. Auf seiner Handfläche lag ein einzelnes Samenkorn. 

“Hier nimm. Wenn du einmal diesen Strain gezüchtet hast, wirst du nie wieder etwas anderes züchten.” zischte eine kratzige, unheimliche Stimme. Sie schien aus dem grünen Schädel zu kommen oder hatten sich diese riesigen Zähne tatsächlich bewegt?


Sascha versuchte, seine Angst abzuschütteln. Er schnappte den Seed aus der Hand des Fremden und schloss die Tür zur Hälfte wieder. 


“Cooles Kostüm und danke für den Seed, aber … Alter! Wehe du rauchst mir nochmal die Bude voll oder wirfst deine Stummel hier irgendwo hin! Und um die Uhrzeit unter der Woche geht echt gar nicht!” 


“Alles okay?” Erklang Marys Stimme aus dem Wohnzimmer. Sascha drehte sich für einen kurzen Moment herum. “Alles gut. Nur so ein verrückter Kiffer!” Als er sein Gesicht wieder der Tür zuwandte, war der fremde Störenfried bereits wieder verschwunden und hinterließ eine dichte, schneeweiße Rauchwolke, die sich langsam in den dunklen Nachthimmel empor hob. 


Sascha schaute noch einen Augenblick verwirrt durch die Gegend, doch konnte er niemanden entdecken. "Naja, was soll’s. Gratis Samen sind auch mal eine nette Halloween Überraschung.” Er ging wieder in die Küche und packte den Samen in ein feuchtes Taschentuch zwischen zwei Tellern. “Bin gespannt, wie lange die zum Keimen brauchen.” 


“Kommst du endlich ins Bett?” hörte er Mary aus dem Schlafzimmer rufen. Schnell stellte er den Teller auf die Fensterbank über der Heizung und eilte ins Schlafzimmer. Er hatte vollkommen vergessen, dass er morgen wieder arbeiten musste. 


Als Sascha am nächsten Morgen erwachte und mit verschlafenen Blick durch die Küche schlenderte, fiel ihm auf, dass seine kleine “Keimungsstation” nicht war, wie er sie verlassen hatte: der obere Teller war verschoben und das Taschentuch schaute darunter hervor. Schlagartig wach hastete er zu den Tellern, in der Hoffnung, der Samen oder das Taschentuch waren noch nicht ausgetrocknet. 


Gerade als er wieder alles herrichten wollte, fiel ihm auf, dass sich das Tuch an einer Stelle gewölbt hatte. Vorsichtig hob er das Taschentuch an. Darunter kam ein winziger Keimling zum Vorschein. Die Samenhülle lag aufgesprengt daneben und eine lange weiße Pfahlwurzel zierte den kleinen Sprössling. Sascha schaute verwirrt: noch nie hatte er einen Strain gesehen, der derart schnell keimte. Es waren nicht einmal 8 Stunden vergangen, seit er ins Bett gegangen war.


“Wahnsinn…” murmelte er leise. Er bemerkte nicht, wie sich Mary von hinten angeschlichen hatte und ihn überraschend in die Seiten piekste. “Was ist das?” fragte sie verwundert.


“Gestern Abend hat doch ganz spät noch jemand geklopft. Der hat mir nen Seed geschenkt und … "Der ist einfach in nur 8 Stunden gekeimt…” Sascha war noch immer völlig verwirrt und begeistert zugleich. Mary imitierte sarkastisch seinen fassungslosen Ausdruck. “Wow … Unkraut… ich bin begeistert.” Fügte sie zynisch hinzu. 


Sascha warf ihr einen verärgerten Blick zu, bevor er seine Kaffeetasse und den Teller mit dem Sprössling schnappte und damit in seinem Kellerraum verschwand. Er wusste, dass er einen solchen Keimling sofort einpflanzen musste, bevor er vertrocknete oder sich Krankheiten zuzog. 


Schnell war einer seiner Töpfe mit Erde gefüllt und der Keimling eingepflanzt. Behutsam sprühte er noch ein wenig Wasser über Erde und Pflanze, bevor er sie in sein Growzelt stellte und das Licht auf niedrigster Stufe einschaltete. “Und jetzt schön wachsen. Zeig mir, was du drauf hast.” 


Mit einem letzten Blick auf sein Equipment und die Einstellungen auf seinem Grow Controller, schloss er den Reißverschluss seiner Box und machte sich auf zur Arbeit. 


Als er am Abend nach Hause kam, konnte er es kaum erwarten, nach seiner Pflanze zu sehen. Es waren gerade einmal 12 Stunden vergangen, seitdem er das Zimmer mit der Box verlassen hatte. Dennoch hatte er die starke Vermutung, wieder positiv überrascht zu werden. Und so war es: Die kleine Pflanze hatte sich bereits einige Zentimeter aus dem Boden gekämpft und das erste Blattpaar gebildet.


Erstaunt betrachtete er den Keimling. Was auch immer das für eine Sorte war, sie wuchs höllisch schnell.


Es vergingen einige Tage, in denen Sascha jeden Abend wieder in seinem Zimmer verschwand. Mary war nicht sonderlich begeistert, mehr noch, sie war wütend. Sascha verbrachte mehr Zeit im Keller mit einer Pflanze als mit seiner eigenen Freundin. 


Zuerst empfand sie sein Verhalten nur als lästig, doch mittlerweile wurde es zu einer regelrechten Obsession. Kaum hatte er die Haustüre aufgeschlossen, warf er seine Jacke in den Flur, kickte die Schuhe in die Ecke und eilte hinunter zu seiner heißgeliebten Growbox und der darin stehenden Pflanze.


Mary hatte alles versucht: sie hatte ihn ignoriert, versucht zu verführen oder einfach nur mit gutem Essen auf ihn gewartet. Doch oft stand das Abendessen so lange auf dem Tisch, bis es kalt und Marys Laune verdorben war.


Sie hatte jedoch auch bemerkt, dass seine Laune zunehmend schlechter wurde, jedes Mal, wenn er aus seinem Zimmer wieder nach oben kam. Er schien frustriert und niedergeschlagen.


“Kannst du mir vielleicht Mal sagen, was mit dir los ist? Es ging mir zwar schon tierisch auf die Nerven, dass du dich nur noch für diese blöde Pflanze interessierst. Aber wenigstens bist du sonst mit einem Lächeln wieder aus dem Keller gekommen.” Mary schaute Sascha mit einem fordernden Blick an. 


“Sie will einfach nicht weiter wachsen.” Sascha schaute bedrückt zu Boden. Mary warf ihm einen verächtlichen Blick zu. “Das ist alles? Du hast so eine schlechte Laune, weil deine Pflanze nicht wächst? Und ich dachte, es wäre etwas Ernstes." 


Sascha verdrehte die Augen. "Ja, ich weiß, du kannst das nicht verstehen. Aber es ist nun mal meine Passion und ja sowas macht mir schlechte Laune. Ich habe wirklich alles versucht…doch sie wächst einfach nicht weiter. Sie sieht aus, als würde sie vertrocknen…” 


“Na dann gieß das blöde Ding doch einfach!” Mary verlor allmählich die Geduld. All die schlechte Laune und dieses Ignorieren, wegen einem Gewächs.


“Sehr witzig. Natürlich gieße ich sie, aber sie scheint das Wasser gar nicht aufzunehmen." Sascha schien überhaupt nicht zu bemerken, wie wütend Mary auf ihn war. “Ich habe es mit Bio- und mineralischem Dünger versucht, ich habe den pH-Wert gemessen und …”


"Ach, kipp doch drauf was du willst! Ich gehe jetzt ins Bett. Du pennst auf der Couch! Oder besser noch. Leg dich doch gleich in dein bescheuertes Zelt!” Mary stampfte davon und schlug die Schlafzimmertür hinter sich zu. 


Als sie am nächsten Morgen erwachte, fühlte sie sich unwohl. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, Sascha so angeschrien und aufs Sofa verbannt zu haben. Auf der einen Seite war sie noch immer frustriert und verärgert, dass er sie so lange ignoriert hatte. Auf der anderen Seite verstand sie ihn auch ein wenig: es war nun mal sein Hobby und er hatte viel Geld für das ganze Equipment ausgegeben. Wenn dann allerdings nichts nach Plan lief, konnte das sicher sehr deprimierend sein. 


Leise schlich sie ins Wohnzimmer und wollte sich noch die wenigen Minuten, die ihm bis zur Arbeit blieben, zu ihm kuscheln. Als Mary um die Ecke schaute, fand sie ein leeres Sofa vor. “Der hat doch nicht wirklich in seinem Zelt…” 


Eine Hand packte sie an der Schulter und sie schreckte herum. 


“Guten Morgen. Ich hab Frühstück gemacht. Sorry nochmal wegen den letzten Tagen. Ich werde jetzt nur noch morgens nach meiner Pflanze schauen, versprochen. Abends gehöre ich wieder ganz dir.” Sascha drückte Mary und gab ihr einen Kuss auf die Wange.


Mary war völlig verwirrt. Vor nicht einmal 12 Stunden war ihr Freund noch deprimiert und geistig abwesend und jetzt strahlte er sie förmlich an. “Sag mal… hast du dir heute Abend in deinem Zimmer das Hirn weggekifft?” 


Sascha winkte lächelnd ab. “Ach Quatsch, die Pflanze ist doch noch lange nicht geerntet. Aber sie wächst wieder!” 


Marys Mundwinkel senkten sich. “Wow… ich meine, ich freu mich ja, dass du wieder bessere Laune hast. Aber so eine emotionale Achterbahn wegen einer Pflanze? Und was ist das da an deinem Finger?” Sie deutete auf ein kleines Pflaster, das an Saschas Zeigefinger klebte.


“Ach das? Ich hab gestern an meiner Pflanze rumgeschnippelt und mich dabei ein bisschen verletzt. Halb so wild.” Nach diesen Worten hastete er in die Küche zurück, aus der bereits der verführerische Duft von Brötchen und gebratenen Eier schwebte.


Mary konnte zwar immer noch nicht nachvollziehen, wie es das Wachstum einer Pflanze schaffte, seine Laune so extrem zu beeinflussen, doch andererseits war es ihr auch egal. Er hatte versprochen, sich mehr um sie zu kümmern und sie konnte sich ihre Entschuldigung sparen. 


Tatsächlich hielt sich Sascha an sein Versprechen: nur am frühen Morgen, noch bevor er auf die Arbeit ging, warf er einen prüfenden Blick in seine Box. Nachdem er von der Arbeit kam, gewährte ihm Mary eine Viertelstunde zum Gießen. Die Zeit danach verbrachte er wieder gemeinsam mit ihr auf der Couch. 


Als sie wieder einmal beieinander saßen und eine Decke um sich gewickelt hatten, spürte Mary, dass Sascha am ganzen Körper zitterte. “Sag mal, ist dir kalt?”, Mary packte eine seiner Hände, “Wow! Die sind ja eiskalt. Wirst du etwa krank?”

Hastig legte sie ihm die andere Hand auf die Stirn, um seine Temperatur zu fühlen. "Also Fieber hast du schon mal nicht, zum Glück.” 


Sascha winkte ab. “Ach, nein, nein. Alles gut, mir ist wirklich nur ein bisschen kalt.” Mary schaute ihn skeptisch an. “Sascha, du trägst ein T-Shirt, da drüber einen dicken Pullover und liegst unter einer Decke im beheizten Wohnzimmer. Wie kann dir da denn kalt sein? Ich glaube wirklich eher, dass du krank wirst. Vielleicht gehst du morgen besser nicht zur Arbeit, sondern eher zum Arzt.” 


Saschas Augen blitzten auf. “Ja… ja, du hast Recht. Ich sollte zu Hause bleiben. Ich gehe morgen zum Arzt und lass mich besser erstmal krankschreiben.” 


Mary stand vom Sofa auf und reichte ihm eine Hand. “Du legst dich jetzt erstmal ins warme Bett.” Als sich Sascha stöhnend von der Couch hoch hievte und nach Marys Hand griff, fielen ihr die dunklen Flecken an den Ärmeln seines Pullovers auf. Auch die Tage zuvor waren viele seiner Klamotten an diesen Stellen mit Flecken versehen. “Hast du da etwa Dünger dran geschmiert? Klasse. Den kannst du gleich ausziehen und in die Wäsche packen. Bei den anderen Klamotten ging es auch gerade so noch raus.” Sascha Augen wurden groß und huschten von links nach rechts. “Ja richtig, die Düngerflecken, Eisen-Dünger… Sorry.” 


Als Mary Sascha an den Ärmeln ziehen wollte, hielt dieser ihre Hände fest. In seinem Gesicht war ein Anflug von Angst zu sehen und seine Reaktion vermittelte das Gefühl, dass er nicht davon ausgegangen war, dass ihr die Flecken bereits aufgefallen waren. “STOPP! … Ähm, sorry aber … mir ist schon echt kalt. Ich zieh ihn dann oben aus.” 


Mary trat etwas erschrocken einen Schritt zurück. “Ist ja gut ...Komm jetzt, du solltest dich wirklich mal hinlegen.” Sie packte ihn an einem Handgelenk. Sascha knirschte mit den Zähnen und schien sich einige schmerzvolle Laute zu unterdrücken. Mary ließ ihn wieder los und schaute ihn sorgenvoll an. 


Sascha blieb leicht schwankend vor ihr stehen. Er zwang sich ein tapferes Lächeln aufs Gesicht. “Schon gut, ich pack das.” Wie ein widerwilliges Kind verweigerte er jegliche Art von Hilfe und setzte sich leicht taumelnd in Bewegung. Mary starrte ihn bloß fassungslos an, als er sich trotzig an ihr vorbei schleifte und gegen den Türrahmen rempelte. 


Nachdem Mary das Wohnzimmer wieder aufgeräumt, den Fernseher ausgeschaltet und die Haustüre verriegelt hatte, ging auch sie ins Schlafzimmer. Als sie das Zimmer betrat, konnte sie Saschas Zähne klappern hören. Trotz der dicken Decke schien er noch immer zu frieren.


Mary zog sich um und legte sich zu ihm ins Bett. “Steck mich nur bitte nicht an.” Flüsterte sie leise in sein Ohr und schmiegte sich an ihn. Als sie sachte über seine Arme streichen wollte, zuckte Sascha zusammen. Schnell zog er seine Arme unter die Decke und rollte sich auf die Seite. 


Mary ließ ihn in Ruhe. Auch wenn ihr sein Verhalten doch merkwürdig erschien, so hatte sie keine Lust mehr, sich damit zu befassen. Es war spät und sie musste am nächsten Morgen auf die Arbeit. Einen Moment lang überlegte sie noch, ob sie Sascha morgen wirklich allein lassen konnte. Doch dann übermannte sie der Schlaf.


Es war mitten in der Nacht, als sie von seltsamen Geräuschen geweckt wurde. Es waren zwei Stimmen, die miteinander sprachen. Die eine Stimme gehörte Sascha, diese erkannte sie sofort. Doch die andere Stimme konnte sie nicht zuordnen. Bisher hatte sie diese Stimme noch nie gehört. Eine seltsame Mischung aus freundlich und doch bedrohlich, rau und doch verspielt – es bereitete ihr eine Gänsehaut. Sie konnte allerdings nicht verstehen, worüber sie sprachen. 


Müde wälzte sie die Decke von sich und krabbelte vorsichtig aus dem Bett. Leise öffnete sie die Schlafzimmertür und warf einen Blick in den Flur. Dort stand Sascha, mitten im leeren Flur, bei ausgeschaltetem Licht. 


“Was um alles in der Welt machst du da?” fragte Mary und trieb sich den Schlaf aus den Augen. Sascha bewegte sich einen Moment lang nicht. Dann drehte er sich um und schaute sie an. Er war noch bleicher als zuvor und schien wieder am ganzen Körper zu zittern. 


“Alles gut. Ich habe nur einem Kollegen Bescheid gesagt, dass ich morgen nicht zur Arbeit komme." Stammelte Sascha vor sich hin. Mary brauchte gar nicht lange zu überlegen, um zu erkennen, dass er sie anlog.


Skeptisch schaute sie ihn an: “Und das um ein Uhr morgens?” Sie schüttelte mit dem Kopf. 


“Ach, der ist immer sehr lange wach und ich wollte, dass er es morgen frühstmöglich bei der Arbeit meldet… falls ich vielleicht morgen dann zu krank zum Anrufen bin.” Saschas Augen zuckten hin und her, doch immerzu wichen sie Marys skeptischen, bohrenden Blicken aus.


“Ist mir jetzt eigentlich auch egal, kommt jetzt endlich ins Bett!” schnaubte Mary. “Nur noch eine Sekunde, geh ruhig schon vor.”  ,sagte Sascha, “ich muss nur noch einmal kurz nach unten gehen und nach meiner Pflanze schauen. Ich muss sie vermutlich noch mal gießen…”


Mary schaut ihn unglaublich an. “ Na ja jetzt bin ich ja eh gerade wach und solange ich noch die Kraft dafür habe…”begann Sascha eine Ausrede zu formulieren. Evelin schüttelte erneut den Kopf. “Mach was du willst. Aber glaub bloß nicht, dass du morgen Mitleid zu erwarten hast, wenn es dir noch deutlich schlechter geht. Und hör auf deine seltsamen, gruseligen Kollegen nachts mit Lautsprecher anzurufen. Wenn du doch schon aus dem Zimmer gehst, dann telefoniere doch wie ein normaler Mensch.” Brief Mary ihm zu, bevor sie im Schlafzimmer verschwand und die Tür hinter sich zuwarf.


Sascha blieb noch einen Moment wackelig auf den Beinen stehen, dann drehte er sich herum und schlurfte in Richtung seines Kellerzimmers.


Als Mary am nächsten Morgen erwachte, schaute sie zur Seite – Sascha lag neben ihr und schlief. Auch wenn sie ihm wegen gestern noch immer etwas sauer war, war sie nun doch glücklich ihn endlich friedlich schlafen zu sehen. Sie zog ihre Decke beiseite und kletterte aus dem Bett. 


Mary war gerade auf dem Weg in die Küche, als ihr Blick auf die Treppe hinunter in den Keller fiel. Eigentlich war sie ja schon neugierig, was Sascha so sehr dazu treiben konnte, selbst mit Krankheit jeden Tag in diesen Keller zu gehen. Mittlerweile war sie sich nicht mehr wirklich sicher, ob er da unten nur eine Pflanze züchtete.


Sie konnte ihre Neugierde nicht zügeln. Mit leisen Schritten stieg sie die Treppe hinab in den Keller. Als sie durch den Flur hin zu Saschas Zimmer ging, kam ihr ein sehr penetranter und wohlbekannter Geruch entgegen. Es war nicht das erste Mal, dass Sascha eine Cannabispflanze angebaut hatte, jedoch musste sie zugeben, dass bisher keine mit dem Geruch dieser Pflanze mithalten konnte. 


Neugierig öffnete sie die Tür zu seinem Zimmer und der Geruch wurde deutlich stärker. Eine helle Lampe strahlte aus einer großen, schwarzen geöffneten Growbox heraus, ansonsten war das gesamte Zimmer abgedunkelt. Sie konnte sich noch gut daran erinnern wie das Zimmer aussah als Sascha hier mit seinem Hobby begonnen hatte: sauber, organisiert und aufgeräumt. Nun herrschte hier das reinste Chaos. Auf dem Boden lagen Erde, abgeschnittene Blätter und halb ausgelaufene Düngerflaschen. Auf den Fliesen vor der Öffnung der growbox waren viele rötliche Flecken auf dem Boden zu erkennen. Man hätte es für Blut halten können, doch dafür war es nicht dickflüssig genug. Neben dem Zelt standen zwei große Kanister mit einer ähnlich aussehenden Flüssigkeit. Vermutlich war es diese, die er auch auf seinen Klamotten verschüttet hatte.


Die pure Neugier zog sie immer weiter in Richtung des Zeltes. Sie wollte sich selbst davon überzeugen, dass es bloß eine Pflanze war, der Sascha so unglaublich viel Aufmerksamkeit schenkte. 


“Was machst du da?” Sie hörte plötzlich Saschas Stimme. Erschrocken drehte sich Mary herum. Sascha stand hinter ihr und starrte sie an.


“Verdammt! Erschreck mich doch nicht so!", fauchte ihn Mary an. “Ich wollte auch mal schauen, was du hier so treibst." Sie versuchte, ihren Schrecken zu überspielen. Doch es fiel ihr schwer: Saschas umgab eine bedrohliche Aura. Sein Blick wirkte zwar leer und doch bohrend wie ein glühendes Eisen, aufmerksam, beobachtend und doch fordernd zugleich. Seine Augen trugen ein leicht rötliches Funkeln in sich.“Und? Hast du gefunden, was du gesucht hast?” fragte er und knirschte mit den Zähnen. Mary schüttelte den Kopf. “Ich wollte zwar ins Zelt schauen, aber …” antwortete sie zaghaft. Saschas Anspannung schien sich mit dieser Aussage ein wenig zu lösen. Weiterhin hielt er direkten Augenkontakt, ging einige Schritte auf sie zu und streckte einen Arm aus. “Komm, du musst auf die Arbeit. Ich begleite dich nach oben.” Dabei trug er ein breites Grinsen auf dem Gesicht.


Mary wich seinem Griff aus und huschte an ihm vorbei aus dem Zimmer heraus. “Schon gut. Ich fahre gleich los. Bitte melde dich, wenn etwas sein sollte.” rief sie ihm noch hinterher, als sie das Zimmer verließ und die Treppe hinauf stieg – mit einer Gänsehaut überall am Körper. Die Art und Weise, wie Sascha mit ihr gesprochen hatte, war mehr als untypisch für ihn. Mary versuchte sich einzureden, dass es sicherlich an seiner Erkrankung liegen musste, dass er sich so eigenartig verhielt. Doch sie hatte keine Zeit mehr, sich darüber Gedanken zu machen und hoffte darauf, dass Sascha bei ihrer Rückkehr wieder ganz der alte war oder zumindest, seiner Erkrankung entsprechend, schlafen im Bett lag. 


Auf der Arbeit konnte sich Mary auf keine ihrer Aufgaben konzentrieren. Zu sehr schweiften ihre Gedanken um Sascha und den heutigen Morgen. Sie nahm sich daher den halben Tag frei und fuhr gegen späten Nachmittag wieder nach Hause. Auf dem Weg dorthin hielt sie noch bei einer Apotheke, um einige Arzneimittel gegen Grippe, Erkältung und andere passende Medikamente mitzunehmen. Sascha sollte so schnell wie möglich wieder gesund werden.


Mary öffnete das Türschloss und trat ins Haus. “Ich bin früher zu Hause. Sascha? Liegst du oben im Bett?” Sie vermutete, dass er bereits schlief und als sie plötzlich seine Stimme aus dem Keller hörte. Doch er schien nicht mit ihr zu sprechen. Skeptisch trat sie an die Kellertreppe heran, blieb an der obersten Stufe stehen und lauschte.“Ich schaffe das! Ich bringe das zu Ende, glaub mir!” hörte Mary ihn aufgebracht rufen. Und dann war da wieder diese eigenartige, schauderhafte Stimme. “We will see, ich bin gespannt.” Darauf folgte ein höhnisches Lachen, das Mary einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen ließ. Sie erstarrte auf der Stelle und wagte kaum, sich zu bewegen, als sie aus dem Flur des Kellers das Klicken der Türklinke zu Saschas Zimmer vernahm. 


Spannungsvoll wartete sie darauf, wer nun durch den Flur die Kellertreppe hinauf kommen würde. Wenn diese furchtbare Stimme einem Gast gehören sollte, so war sie sich sicher, dass diese Person gleich auftauchen sollte. 


Ein erneutes Klicken verriet ihr, dass der Raum gerade abgeschlossen worden war. Es mussten also alle den Raum verlassen haben, dachte sich Mary. 


Auf die nervenzerreißende Stille folgte ein Schlurfen. Nur wenige Sekunden später tauchte Sascha am anderen Ende der Treppe auf. Sein Gesicht war noch blasser und er war wieder wie am Vorabend – wackelig auf den Beinen und leicht orientierungslos. Gerade als er die erste Stufe erklomm, sah er Mary mit schockiertem Blick am oberen Ende stehen. Es schien so, als wollte er noch etwas sagen, doch dann brach er einfach zusammen. 


“Sascha!” Mary stürzte die Treppe hinunter und hob ihn vom Boden auf. Hastig schaute sie sich um: Die Tür zu seinem Raum war verschlossen und niemand sonst stand im Kellerflur. Bevor sie Sascha darauf ansprechen konnte, musste sie ihn erstmal zurück ins Bett tragen.Einige mühsame Minuten später warf sie Sascha auf die eine Seite des Bettes und ließ sich kraftlos auf die andere fallen. Sie schloss die Augen, atmete schwer und starrte zur Decke, während sie sich fragte, was ihn nur dazu trieb, trotz dieser Schwächeanfälle immer wieder in den Keller hinunterzugehen. Als sie zur Seite blickte, bemerkte sie, dass Sascha scheinbar eingeschlafen war. Er atmete ruhig und tief.


Erschöpft zog sie einen ihrer Arme nach oben und wollte sich mit der Hand die Haare aus dem Gesicht streifen. Als sie ihre Hand vor Augen hatte, sah sie, dass sie blutverschmiert war. Ruckartig und voller Adrenalin schnellte sie herum und begann Sascha am Kopf nach einer Wunde zu untersuchen. Sollte er eine Kopfverletzung vom Sturz erlitten haben, durfte sie ihn jetzt auf keinen Fall schlafen lassen.


Nachdem sie seine Haare völlig zerzaust hatte und nicht fündig geworden war, fiel ihr ein Stein vom Herzen. Doch schnell stellte sich die nächste Frage: Woher stammte das Blut dann? Sie begann Sascha, der noch immer schlief, von oben herab systematisch abzusuchen. Sein ganzer Körper war unheimlich blass und eingefallen. Ihr fiel erst jetzt auf, dass er scheinbar in der kurzen Zeit auch stark abgenommen haben musste. 


Ihr Atem stockte, als sie an seinen Unterarmen angelangt war. Unzählige kleine und größere Löcher oder Einstiche bedeckten beide Gliedmaßen. Vorsichtig zog sie einen der befleckten Ärmel seines Pullovers zurück. Sein Arm sah aus, als hätte jemand mit glühenden Nadeln in seine Haut gestochen. Aus einigen der dickeren Einstiche lief das Blut noch immer an seinem Arm herab.


“Was um alles in der Welt ist denn nur passiert?” Mary hoffte so sehr, dass Sascha einfach aufwachen und ihr eine Antwort geben würde. Doch er schlief weiterhin tief und fest. Sie rang mit sich selbst, denn sie war ratlos: Sollte sie einen Krankenwagen rufen? Oder noch versuchen, einen Arzt zu erreichen? Doch was sollte sie denen sagen? 


Sie entschied sich, es bleiben zu lassen. Sascha hatte scheinbar keine Kopfverletzung und daher wollte sie ihn einfach schlafen lassen, ihn morgen auf seine Verletzungen ansprechen und anschließend zu einem Arzt schleifen. Doch dieses Mal würde sie nicht einfach selbst einschlafen, sondern Wache halten, soviel stand fest.


Mary schaltete den kleinen Fernseher im Schlafzimmer ein und wechselte von einem Kanal zum Nächsten. Sie suchte nach etwas Simplem, dass sie wach hielt und von dem ganzen Geschehen ablenken konnte. 


Es vergingen einige Stunden, als sich Sascha plötzlich rührte. “Muss … muss runter …” murmelte er, als er sich hin und her wälzte. Mary legte ihm eine Hand auf die Brust, "Hey, alles gut. Du liegst im Bett, ich hab dich hochgebracht.” Sascha packte ihre Hand und schob sie beiseite. “Muss runter… die Pflanze gießen…", flüsterte er.


Mit einem leichten Anflug von Zorn packte Mary Saschas Schultern und hielt ihn davon ab, aus dem Bett zu steigen. “Du bist krank! Und hast irgendwelche komischen Verletzungen! Du bleibst im Bett, bis du mir erzählt hast, was passiert ist und dich ein Arzt untersucht hat!” Sie spürte, dass die Anspannung in Saschas Körper zunahm und es ihr immer schwerer fiel, ihn zurückzuhalten. “Ich muss gießen! Die Pflanze hat Durst!” Sascha erhob seine Stimme und begann wild mit den Armen zu fuchteln. Mary blieb keine andere Wahl, als sich komplett auf ihn zu werfen und festzuhalten. 


Kurz bevor Mary die Kraft vollends verließ, kehrte allmählich Ruhe in Sascha ein. Sein Körper entspannte sich langsam und sein Atem wurde wieder tief und gleichmäßig. Ganz im Gegenteil zu Mary. Sie schnaufte und fühlte sich wie gerädert. Zuerst hatte sie ihn die Treppe hinauf schleppen müssen und dann noch einen Tobsuchtsanfall verhindert. 


Mary fühlte, wie ihre Muskeln nachgaben, die Erschöpfung überwältigte sie mit jeder Sekunde mehr. Sie hatte alles gegeben, um Sascha zu bändigen, und jetzt, wo er endlich ruhig war, ließ auch ihre letzte Anspannung nach. Ihre Lider wurden schwer, der Schlaf zog sie gnadenlos in die Tiefe. 


Mit einem leisen Stöhnen rutschte sie neben ihn ins Bett, ihr Kopf landete schwer auf dem zerwühlten Kissen. Die Gedanken in ihrem Kopf verschwammen, wurden träge, während sie noch versuchte, wach zu bleiben. „Nur kurz die Augen schließen… nur kurz…“, murmelte sie schläfrig und warf einen letzten Blick auf Saschas entspanntes Gesicht.


Sie spürte es, direkt in dem Moment, als sie die Augen schloss. Tief in ihr nagte ein Gefühl, dass sie ihn nicht aus den Augen lassen durfte. Aber es war zu spät.


Als Mary panisch wieder hochschreckte und sich umschaute, konnte sie Sascha nirgends entdecken. Er lag nicht mehr im Bett, noch war er an der Seite herausgefallen. Die Tür des Schlafzimmers stand weit offen. Mary wollte es nicht wahrhaben, doch sie war sich sicher, wo sie ihn nun finden würde.


Mit leisen Schritten schlich Mary mit einer Taschenlampe durch den Flur. Sie hätte natürlich auch das Licht einschalten können, doch wollte sie sich Sascha nicht bereits vorankündigen. Was auch immer er in diesem Kellerraum trieb, heute Nacht würde sie es herausfinden. 

Sie war nur noch wenige Schritte von der Kellertreppe entfernt, als sie wieder Saschas Stimme aus dem Dunkel murmeln hörte. “Warum … warum werden sie nicht größer?” 


“Du musst mehr gießen.” erklang wieder die kratzige, schaurige Stimme, gefolgt von einem höhnischen Lachen, das Mary das Blut in den Adern zum Gefrieren brachte. “Aber …”, war Sascha zu hören, “Ich habe alles … mehr kann ich nicht…” 


Mary nahm all ihren Mut zusammen und riss die Tür auf. Als sie ins Zimmer blickte, sah sie Sascha, der vor seiner Growbox kniete und den Kopf ins Innere gesteckt hatte. Sonst war niemand im Zimmer. “Wer war eben noch hier? Woher kommt jedes Mal diese furchtbare Stimme?” Mary erhob ihre Stimme, auch wenn ihr die Angst die Kehle zuschnürte. “Sascha! Ich rede mit dir!”Energisch ging sie auf Sascha zu. 


Als Mary Saschas Schulter ergriff, zuckte er unter ihrer Berührung zusammen, als wäre jede Berührung eine Qual. Sein Körper war ein Schatten seiner selbst: bleich, ausgezehrt, als wäre das Leben selbst aus ihm herausgesogen worden. Seine Haut spannte sich dünn und wächsern über seine Knochen, so fahl, dass jede Ader darunter sichtbar wurde. Schweiß perlte auf seiner Stirn und vermischte sich mit dem Schmutz, der sich dort festgesetzt hatte. Sein Haar hing in nassen, verfilzten Strähnen herab, und seine Lippen waren blutleer, fast blau. Sein gesamter Körper schien in kürzester Zeit noch mehr abgebaut zu haben, als in der gesamten Zeit davor.


Seine Augen jedoch waren am Schlimmsten. Weit aufgerissen, glanzlos und von dunklen Ringen umrahmt, starrten sie ins Leere, als wäre sein Blick tief ins Nichts gerichtet. Doch als Mary ihn fester an der Schulter packte, reagierte er endlich, drehte langsam den Kopf zu ihr. Sein Gesicht verzerrte sich in einer Mischung aus Erschöpfung und Wahnsinn, als er schwer atmend zu sprechen begann, mit einer Stimme, die kaum lauter war als ein Flüstern.


"Ich… ich musste sie gießen… die Pflanze… sie hatte Durst," keuchte er und drehte seinen Kopf zurück. Liebevoll betrachtete er die Pflanze im Inneren: ein Prachtexemplar jedoch mit tiefroten Blüten. “Aber leider kann ich einfach nicht mehr gießen.” Sein Kopf senkte sich, er wirkte betrübt.


Mary wollte ihn nach oben ziehen, doch sie spürte einen enormen Widerstand. Als sie genauer hinsah, wollte sie ihren Augen nicht trauen: Aus der Erde des Topfes ragten lange dunkle Wurzeln, welche sich durch die Haut seiner Arme gebohrt hatten und wie ein Herzschlag pulsierten. Einige Wurzeln räkelten sich wie Schlangen an seinem Arm hinauf und hatten sich einen Weg bis zu seiner Halsschlagader gesucht.


“Ich gebe ihr wirklich alles … was ich habe… und doch… werden die Blüten einfach nicht größer.” flüsterte Sascha, “Er sagt, ich soll mehr gießen … aber mehr kann ich ihnen nicht geben.” Sein Kopf wackelte unkontrolliert, während seine Mundwinkel anfallartig zuckten und seine Augen wilde Drehungen vollführten. 


Dann plötzlich stoppte sein ganzer Körper zu zucken, als wäre er zu Eis erstarrt. Er drehte langsam den Kopf zu Mary herum und riss seine Augen auf. Ein breites Grinsen zog sich über sein Gesicht. “DU kannst sie gießen…” Sein manischer Gesichtsausdruck wurde immer grotesker, während er unter großen Schmerzen einen seiner Arme aus den Fängen der Wurzeln befreite.


Sascha versuchte nach Mary zu greifen, als diese schlagartig aus ihrer angsterfüllten Schockstarre erwachte. Mit einem lauten Aufschrei wich sie vor ihm zurück und brach in Tränen aus. 


“Du musst sie gießen! HILF MIR DOCH SIE ZU GIESSEN!” brüllte Sascha sie an, während er sich zitternd vom Boden erhob. In der Hand hielt er eine Schere. “Komm schon, nur ein bisschen. Sie hat Durst! Sie ist fast vollendet!” Langsam schlurfte er auf sie zu, die Schere auf und zu schnappend. 


Mary zögerte nicht lang und stürzte aus dem Zimmer heraus. Im Bruchteil einer Sekunde hat sie sich herumgedreht und die Tür geschlossen. Sie drückte sich mit ihrem ganzen Körper gegen das dunkle knarzende Holz, während Sascha auf der anderen Seite mit ungeahnter Kraft gegen die Tür hämmerte.“Mary! Komm zurück! Sie ist durstig! Mary!” Wie ein stürmischer Regen prasselten seine Fäuste gegen das Holz. Mary wusste nicht, ob sie noch lange standhalten konnte.”Du musst sie gießen! ich habe nicht genug! Du musst sie gießen!” wiederholte er immer und immer wieder. 


“DU SELBST musst sie gießen!” erklang plötzlich die finstere, schauderhafte Stimme und augenblicklich kehrte Ruhe ein. Mary zog es durch Mark und Bein, sie wagte es nicht, auch nur einen Laut von sich zu geben. Und auf der anderen Seite der Tür war nichts mehr zu hören, als diese grauenvolle Stimme.“DU musst sie gießen! Bring es zu Ende!” durchbrach die Stimme die zerreißende Stille. Einen kurzen Moment später hörte man Sascha wieder leise vor sich hin murmeln. “Ich muss gießen. Sie ist durstig. Muss gießen, ist durstig… muss gießen…” Seine Stimme entfernte sich langsam. 


Mary war innerlich hin- und hergerissen. Sie konnte Sascha jetzt nicht alleine lassen, aber von ihm erstochen werden wollte sie auch nicht. Die Polizei oder einen Krankenwagen zu rufen, hätte vermutlich auch keinen Zweck. Sie nahm all ihren Mut zusammen und drückte die Türklinke herunter… Doch die Tür ließ sich nicht öffnen.Wieder und wieder rüttelte sie am Griff und zog mit Gewalt daran, doch die Tür blieb geschlossen. “Sascha? Sascha! Mach die Tür auf, bitte!” Marys verzweifelte Rufe erhielten keine Antwort.


„In der letzten Blütephase lässt man die Pflanzen am besten ungestört.“ Die Worte kamen aus der Dunkelheit, flüsterten dicht an ihrem Ohr, und Marys Herz setzte für einen Moment aus. Eiskalt schien die Stimme ihren Rücken hinab zu kriechen und all ihre Gliedmaßen zu lähmen. Sie traute sich kaum, den Blick in Richtung der Stimme zu wenden.


Zwei glühende, rote Kreise glänzten gierig blickend in der undurchdringlichen Finsternis hinter ihr. Ein breites Maul mit klappernden weißen Zähnen, ausgebreitet auf einer großen grünen Fratze. “Oder willst du das Gießen etwa doch übernehmen? HYAHYAHYA!”


Es war endgültig zu viel: Mary wurde schwarz vor Augen und sie wurde ohnmächtig.


Als sie wieder zu sich kam, war es totenstill. Um sie herum war noch immer alles dunkel, die Nacht schien noch nicht vorbei. Kaum war sie wieder zur Besinnung gekommen, schob sie sich so schnell sie konnte mit dem Rücken gegen eine Wand. Der Angstschweiß floss ihr direkt wieder eiskalt den Nacken hinab – sie erinnerte sich, dass sie nicht alleine in diesem Flur gewesen war. Panisch huschten ihre Augen von links nach rechts und durchsuchten den Flur akribisch in der Hoffnung nichts und niemanden zu entdecken.


Vorsichtig richtete sie sich auf und tastete an der Wand nach dem Lichtschalter. Mit einem gleißenden Licht erhellte die Deckenleuchte den Flur binnen weniger Augenblicke. Das Licht brannte wie Salzwasser in Marys Augen, die trotzdem weiter wachsam jede Ecke des Flures inspizierten. Der Flur war leer.


Dann traf es sie wie ein Schlag. “SASCHA!” Mary stürzte zur Tür und riss sie beim Öffnen fast aus den Angeln. 


Mary betrat das Kellerzimmer, und ein eisiger Schauer kroch ihr den Rücken hinab. Die Luft war stickig, erfüllt von dem dichten, modrigen Duft, der von Saschas Growbox ausging. Es war ein völlig anderer Geruch als beim letzten Mal – er war deutlich beißender und penetranter. 


Vor dem Zelt kniete Sascha auf dem kalten Boden, sein Körper eingefallen, die Haut fahl wie Wachs und fast durchsichtig. Schwarze Wurzeln ragten aus der Vorderseite der Growbox heraus und hatten sich wie Schlangen um seine Arme und seinen Hals gewickelt. Einige der dunklen Ranken bohrten sich tief in seine Haut und pulsierten in einem unnatürlichen Rythmus. Saschas Augen – trübe und weit aufgerissen – starrten ins Leere, und ein leises Murmeln säuselte durch seine ausgetrockneten Lippen.


„Ich… muss gießen… ich muss… gießen…“


Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, ein leises Mantra, das er mit letzter Kraft wiederholte. Mary ging auf ihn zu und beugte sich hinab. Sie wollte ihn berühren, doch ihre Hand zitterte und stockte kurz davor. Der Schweiß stand ihr auf der Stirn, und ihr Herz raste. Sie wollte ihn wachrütteln, ihn von diesen düsteren Wurzeln befreien – doch je näher sie ihm kam, desto deutlicher erkannte sie die Wahrheit: Die Pflanze hatte ihm jedes bisschen Leben ausgesaugt. Er war nur noch eine Hülle seiner selbst, aus der der letzte Lebensatem entwich mit einem: *„Ich… muss gießen…“


Marys Atem stockte, und ein kaltes, ohnmächtiges Grauen packte sie. Die Wurzeln pulsierten weiter in seinen Armen, griffen nach ihm wie hungrige Finger, die sich ein letztes Mal festklammerten, als ob sie mit jeder Faser nach einem letzten Tropfen Blut in seinem Körper lechzten. Langsam wich sie zurück, während Saschas leeres Murmeln wie ein unheimliches Echo durch den Raum hallte. 


Eine große, schwere Hand legte sich bleiern auf Marys Schulter. Wie von einem Stromschlag gelähmt, konnte sie vor Furcht nicht einen Muskel bewegen. Dichte Rauchschwaden erfüllten nach wenigen Augenblicken den gesamten Raum. 


"Erntezeit…", raunte die furchteinflößende Stimme, gefolgt von einem hämischen, schallenden Gelächter, welches das Zimmer zum Vibrieren brachte. Marys Herz pochte so schnell, als würde es aus ihrer Brust springen.Neben ihr schälte sich wieder die groteske Fratze aus der Finsternis, die sie bereits im Flur gesehen hatte: zwei feurig rote Augen, ein breites diabolisches Grinsen aus faustgroßen Zähnen auf einem giftgrünen runden Schädel.  Es schien kein Mensch zu sein und doch war das Wesen in einem schwarzen Anzug und mit einem Zylinder gekleidet. 


Mary war erfüllt von einem eigenartigen Gefühl der Machtlosigkeit. Sie konnte nichts tun, außer da stehen und das Wesen anstarren. Es ging auf Saschas leblosen Körper zu und schaute auf ihn herab. “Er hat wirklich vollen Einsatz gezeigt. Alle Achtung.” Er nickte kurz, dann schubste er den leblosen Körper beiseite. “Wollen doch mal sehen…” Das Wesen beugte sich tief in die Box hinein.


Als die Gestalt wieder herauskam, hielt sie die abgeschnittene Pflanzen in beiden Händen, wie einen heiligen Gral: Ein tiefschwarzer Stamm, verdrehte dunkelrote Äste und blutrote Blüten. Die Äste wanden sich wie Hörner aus dem dicken Hauptstamm in die Höhe und trugen rot-grüne, teils fast aschfarbene Blätter, die sich wie verkrümmte Finger nach den Blüten ausstreckten. Sie selbst strahlte eine unheimliche Aura aus.


“Wunderschön… nicht wahr?” Die Gestalt schritt langsam auf Mary zu und drehte dabei langsam seinen Kopf. Die großen Zähne klapperten aufgeregt, als er nur noch wenige Schritte entfernt war und den Duft der Pflanze mit jedem Atemzug in sich aufsog. 


Mary war noch immer unfähig, auch nur einen Finger zu rühren. Wie angewurzelt stand sie da und blickte angsterfüllt in die feurigen, roten Augen, die bedrohlich näher und näher kamen. Tränen liefen ihre Wangen hinab.


“Na na, wer wird denn gleich weinen? Weißt du was? Ich helfe dir, das alles hier zu vergessen, wenn du mir dafür hilfs.t” zischelte die Gestalt und reichte ihr eine der großen Hände entgegen, welche in weiße Samthandschuhe gekleidet waren. “Du wirst dich an nichts mehr erinnern.” So angsteinflößend seine Stimme auch war, erzeugte sie in Mary ein Gefühl der Vertrautheit. 


“Du wirst das alles vergessen.” flüsterte die Stimme nun von allen Seiten, wie ein unheimlicher Chorus. Zwischen den dicken Zähnen steckte ein dicker glühender Joint, welcher eine dichte Rauchwolke hinter sich her zog. Mit einem tiefen Atemzug verbrannte die Gestalt beinahe die Hälfte der Tüte. Dann öffnete das Wesen sein breites Maul und blies ein Meer aus alles verschlingenden Rauchwolken durch seine Hauer. “Du musst nichts weiter tun, als das hier für mich aufzubewahren.” 


Evelyn konnte durch den Rauch nichts mehr erkennen, doch sie spürte, wie ihr etwas in die Hand gesteckt wurde. Sie schloss die Hand zur Faust und nickte tränenüberströmt. “Ich bin einverstanden.” 


“Abgemacht! Bis bald, Bloody Mary.” Wieder ließ das höllische Lachen der Gestalt den Raum erbeben und die Rauchwolken setzen sich in Bewegung. Immer schneller und schneller wirbelten sie um Mary herum, bis alles vor ihren Augen verblasste.


Einige Monate später…


Mary schaute geistesabwesend aus dem Fenster eines alten Trucks. "Hey, geht's dir gut so weit? Du schaust so betrübt.” sprach sie jemand vom Fahrersitz des Fahrzeuges an. Sie drehte ihren Kopf herum und schaute in das Gesicht eines jungen Mannes, der ihr eigenartig vertraut vorkam. 


“Sorry, ich bin ein bisschen neben der Spur. Egal, an was ich versuche mich zu erinnern, es verblasst einfach vor meinen Augen, wie in einem dichten Schleier aus Rauch und Nebel.” Der junge Mann, der neben ihr auf dem Fahrersitz saß, schaute sie leicht besorgt an. “Also ich muss schon sagen, das Zeug ist echt krass. Da hast du vielleicht doch einmal zu viel dran gezogen. Aber diese Farbe…”, der junge Mann schaute verträumt in die Ferne, “diese Farbe, der Geschmack und der Geruch, wow, einfach großartig.” 


Mary konnte sich noch immer weder daran erinnern, wer dieser Mann war, noch was sie hier gerade tat. Doch irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie gerade zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Es kam ihr so vor, als wäre sie auf der Suche nach einem geeigneten Platz für irgendetwas gewesen und hätte ihn nun endlich gefunden.


“Ich finde es übrigens echt klasse, dass du dich für unseren CSC entschieden hast. Wir haben eine riesige Anlage mit mehreren Growern und hunderte Mitglieder, die alle selbst zu Hause mit dem besten Equipment von AC Infinity züchten. Als dich der komische Typ im Kostüm mit dem Zylinder empfohlen hatte, dachte ich erst nur, was ein Spinner. Aber als ich dann von diesem Weed probiert habe … Wow!”


Nachdenklich packte Mary in ihre Hosentasche und holte einen Beutel voller Samen hervor. Verwundert betrachtete sie die Tüte und das rötliche Saatgut, welches sich im Inneren befand. Der junge Mann neben ihr schaute mit Begeisterung herüber. “Ist es das, was ich denke? Das müssen ja an die hundert Stück sein! Wenn das wirklich Seeds von diesem blutroten Strain sind, dann werden wir die gleich aussäen und dann Stecklinge machen. Einen Teil davon verteilen wir morgen an unsere Mitglieder auf der Party, als Halloween Special. Was hältst du davon, wenn wir den Strain Bloody Mary taufen?”


Outro

Und somit wird es dem Bösen schon bald gelingen, Wurzeln zu schlagen. Oder wird Mary noch einmal zur Besinnung gelangen? Wir werden es wohl nie erfahren. Doch eines ist sicher: Auch wenn die allermeisten Pflanzen nicht das Blut ihres Gärtners verzehren, verschlingen sie doch sehr viel seiner Freizeit. Deshalb sollte man keine gefundenen oder unbekannten Strains züchten, denn man weiß nie, wie viel Lebensenergie man in diese Pflanze stecken wird und was einen am Ende für ein Lohn erwartet.


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